Positionen auf dem Prüfstand.
Open Data als Einstellung.
In der Debatte um Open Data geht es anfangs weniger um technische Fragen, sondern vielmehr um das Aushandeln von Denkhaltungen. Wie offen können, sollten oder dürfen Daten bereitgestellt werden?
Grundsätzlich können hier drei Ebenen differenziert werden:
Es gilt also je Einzelfall zu definieren, welche Daten für welchen Zweck geteilt werden sollten. Übergeordnetes Ziel ist es, jeweils unter den gegebenen Rahmenbedingungen, möglichst vielen Akteuren die Möglichkeit zu bieten, die Informationen zu nutzen. Die grundsätzliche Idee im Tourismus ist, dass der Gast die Informationen an möglichst vielen (digitalen) Stellen aktuell und korrekt vorfinden kann. Bei der Entscheidung über die Öffnung der Daten gibt es zwei unterschiedliche Ansätze.
Auf der einen Seite ein „Open by Default“-Ansatz. Hier ist die Grundhaltung, möglichst viele Daten zu öffnen und ins Web zu schieben (push). Daten werden dabei dann geschlossen, wenn es schlüssige Argumente dafür gibt, weshalb die Daten nicht geöffnet bleiben sollten. Auf der anderen Seite steht der Ansatz eines „Open by Request“. Die Datennutzung ist zunächst eingeschränkt und wird nur dann geöffnet, wenn es einen Bedarf für die Öffnung gibt.
Die Nutzung der Daten muss also aktiv angefragt werden. Letztgenannter Ansatz schränkt die Verbreitung der Daten schon deshalb erheblich ein, weil nicht oder schlecht ersichtlich wird (die Daten sind ja nicht, oder nur begrenzt einsehbar), welche Datenbasis zur Verfügung steht. Es besteht also ein entscheidender und nicht zu unterschätzender Unterschied darin, ob es das Ziel ist die Nutzung der Daten allen zu ermöglichen, oder ob lediglich das Recht auf die Nutzung eingeräumt wird, wenn dies angefragt wird.
Flexibilität und Datenverantwortung
Der Druck, Daten zu öffnen wird auch und zunehmend durch die Open Data Debatte auf politischer Ebene erhöht. Bei Regierungs- und Verwaltungsdaten (Open Government) geht es insbesondere um die Öffnung von Datenbeständen, die durch Steuergelder finanziert werden. Hier stehen mitunter auch Daten von DMOen in der Diskussion, deren Erstellung durch Fördergelder finanziert wurde.
Der Vorteil der Öffnung ist neben dieser „ethischen Verpflichtung“, dass Daten flexibel ausgetauscht werden können. Die Frage, ob und wie offene Daten weiterverwendet werden dürfen, wird bei einer konsequenten Umsetzung des 5-Sterne Modells von Tim Berners-Lee obsolet. Sprachassistenten wie Alexa oder der Google Assistent können Daten so direkt bei denjenigen „abholen“, welche die Daten bereitstellen.
Gleichzeitig verliert diejenige Instanz, welche die Daten bereitstellt die Kontrolle darüber, wie die Daten eingesetzt werden. Die Argumente gegen eine Öffnung lauten hier daher zum einen, dass die vereinfachte Zugänglichkeit der Daten dazu führen könne, dass Daten unabsichtlich oder absichtlich (Missbrauch) verfälscht werden.
Zudem können insbesondere Bild- und Videomaterialien in einem anderen Kontext eingesetzt werden, als es die ursprüngliche Intention war – was bei Daten zu Öffnungszeiten eines Schwimmbades oder ähnlichen Basisangaben weniger der Fall ist.
Reichweite und Geschäftsmodelle
Durch die Öffnung von (touristischen) Daten kann die Reichweite dieser erhöht werden. Daten können so, über die Ausgabe auf der eigenen Website oder einer regionalen App hinaus, genutzt und ausgespielt werden. Diese Weiternutzung gilt sowohl bei großen Plattformen (Google, GetYourGuide, Airbnb usw.) als auch bei Startups, die Nischenanwendungen entwickeln. Oftmals sind viele regionsspezifische Daten direkt oder indirekt an Anwendungen und/oder Geschäftsmodelle der DMO gekoppelt. Die Befürchtung ist es, dass die Öffnung der Daten für alle mit dem Relevanzverlust der eigenen Kanäle einhergeht. Dies ist eine mögliche Konsequenz, muss aber nicht zwingend eine negative darstellen.
Denn mittlerweile ist häufig das strategisches Ziel, die Daten sowohl für die eigenen Kanäle als auch für alle anderen so aufzubereiten, dass die Sichtbarkeit dieser im Web insgesamt möglichst hoch ist – unabhängig davon, wo die Ausgabe erfolgt und welche Relevanz dabei die einzelnen Kanäle spielen. So wird dem Gast die Wahl des Kanals überlassen. Der Fokus liegt dann auf dem Bereitstellen von hochwertigen, korrekten und aktuellen Inhalten über die eigene Destination im Web. Ob ein solcher Schritt für die jeweilige Region möglich ist, sollte im Konsens mit den örtlichen Protagonisten beantwortet werden. Diejenigen Daten, die jedoch ohnehin schon jetzt auf den großen Plattformen zur Verfügung stehen, können indes auch so aufbereitet werden, dass sie von allen weitergenutzt werden können. Hierzu ist eine semantische Auszeichnung der Daten sowie deren Bereitstellung mittels eines Ausgabeformats wie JSON-LD im Web erforderlich.
Innovationen und Informationsbroker
Offene Daten bieten aber auch die Basis für digitale Innovationen. Über die semantische Auszeichnung (via schema.org) wird die Interoperabilität der Daten geschaffen, was diese für viele Anwendungsbereiche interessant macht. Für Startups bietet eine solche offen zur Verfügung stehende Datenbasis eine wichtige Grundlage bei der Entwicklung digitaler Services. Die DMO kann über die Bereitstellung von offenen Daten also zu einem Inkubator für (regionale) Innovationen werden. Wenn die Unternehmensgründungen lokal verortet sind, lagert die DMO eigene Services aus und agiert im übertragenen Sinne in der Rolle einer regionalen Wirtschaftsförderung. Mit Blick auf die zunehmende Digitalisierung von Destinationen selbst, braucht es dabei insbesondere eine einheitliche Auszeichnung von Daten mit Ortsbezug (POIs, Touren usw.).
Durch diese Entwicklungen muss aber auch die Rolle der DMO hinterfragt werden. Eine Rolle kann die eines Informationsbrokers sein. Dies kommt einer Trennung von Datenaufbereitung und Serviceentwicklung gleich und kann als Arbeits- und Aufgabenteilung verstanden werden, was in der Konsequenz auch eine Entlastung der DMO darstellen kann, die dann nicht mehr für die Weiterentwicklung von Apps und andren digitalen Diensten verantwortlich sein muss.
Dass die Daten nach Aufbereitung auch von externen Anbietern genutzt werden, ist indes kein Selbstläufer. Es sollte daher hinterfragt werden, welche Daten am Markt und für Gäste interessant sein können und welche Art von Anwendungen daraus entwickelt werden können, damit die Arbeit an der Datenqualität auch im Verhältnis zu ihrem Aufwand steht und vor allen Dingen auch einen konkreten Anwendungsbezug aufweist. Dies ist deshalb von hoher Relevanz, weil diejenigen welche die Daten pflegen dann eine direkte Wirkung ihrer investierten Zeit sehen.
Synergien und Mehrkosten
Durch die Arbeiten, die damit verbunden sind die Daten zu öffnen, gehen weitere Effekte einher. Während die Daten aktuell sehr heterogen in einzelnen Datenbanksilos vorliegen ist es das Ziel, diese Datenbestände nicht nur lizenzrechtlich zu öffnen, sondern diese auch so bereitzustellen, dass die Möglichkeit gegeben ist, die Daten zu nutzen (Interoperabilität).
Die jetzigen Mehrkosten können sich also auszahlen, wenn dieser Prozess konsequent durchgeführt wird. Liegen die Datenbestände einer Destination dann so vor, dass sie interoperabel genutzt werden können, kann dies dazu führen, dass doppelter Pflegeaufwand entfällt und Daten mit Kooperationspartnern und benachbarten DMOen ausgetauscht werden.
Ein Web für alle
Open Data kann also mittel- bis langfristig dazu führen, dass es neben den Datenbeständen auf den großen und aktuell dominierenden Plattformen eine offene und maschinenlesbare Datenbasis gibt, die allen zur Verfügung steht. Ob die Daten dann aber auch von anderen genutzt werden, kann a priori nicht garantiert werden. Im Zweifel steigt also lediglich die Datenqualität auf den großen Plattformen. Je nach Perspektive wäre aber auch dieser Effekt nicht zwingend negativ.
Es lässt sich resümieren, dass mit der lizenzrechtlichen Öffnung der Daten sowie deren semantischer Auszeichnung strategische Fragen und Arbeiten verbunden sind, die es zu klären gilt. Aufgrund dieser aufwendigen und längerfristig angelegten Umsetzungs- und Realisierungsdauer könnte nun die Frage gestellt werden, ob der „Hype“ um Open Data nicht auf wieder vorbeigeht. Dass dies voraussichtlich nicht der Fall ist, fasst Tim Berners-Lee (Erfinder des World Wide Web) in einem wunderbaren Zitat zusammen:
„Data is a precious thing and will last longer than the systems themselves.“
Eric Horster
Fachhochschule Westküste
Eric Horster ist Professor an der Fachhochschule Westküste im Bachelor- und Masterstudiengang International Tourism Management (ITM) mit den Schwerpunktfächern Digitalisierung im Tourismus und Hospitality Management. Er ist Mitglied des Deutschen Instituts für Tourismusforschung.
Mehr zur Person unter: www.eric-horster.de
Elias Kärle
Universität Innsbruck
Elias Kärle ist Wissenschaftler an der Universität Innsbruck. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Knowledge Graphs, Linked Data und Ontologien. Als Vortragender referiert er meist zur Anwendung und Verbreitung semantischer Technologien im Tourismus.
Mehr zur Person unter: https://elias.kaerle.com/