Die Tourismusorganisationen der Zukunft sind mit anderen Aufgaben konfrontiert als mit der reinen Vermarktung ihrer Destination nach außen. Es wird künftig nicht mehr nur um das quantitative Wachstum von Gästeankünften gehen können. Zu groß sind die Herausforderungen, welche die Mega-Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit den Destinationsmanagementorganisationen (DMOs) aufgeben. Es geht um ein nachhaltiges und „smartes“ Management der Destination nach innen und nach außen. Die Tourismusakzeptanz und das Erkennen der Relevanz des Tourismus als wichtigen Wirtschaftszweig innerhalb der Region ist das Ziel. Damit einhergehend ist auch ein verbessertes Gesamterlebnis für Gäste einer Destination, in welcher diese auf einen Lebensraum treffen, der in Gänze einladend wirkt und ist. Im Fokus des Destinationsmanagements steht somit das Leistungserlebnis und nicht mehr primär das Leistungsversprechen in Form von Werbemaßnahmen (siehe Abbildung). Das Erlebnis der Gäste, die dieses via Social Media weiterempfehlen, wird überdies zum Marketinginstrument selbst. Die Digitalisierung macht vieles direkt transparent: Reiseblogger, Freunde auf Instagram, Online-Bewertungen, Videos auf YouTube, Google-Street-View usw. führen dazu, dass wir mit einer digitalen Spiegelwelt konfrontiert sind, die das Marketing auf das Erlebnis selbst zurückwirft. Nie war eine Destination vor der Reise so gut erlebbar.

Grafik Fokus des Destinationsmanagements

Im Kontext des Destinationsmanagements bedeutet dies die Integration von verschiedensten technologischen Komponenten bei unterschiedlichsten Stakeholdern, um ein analog-digitales Gesamterlebnis zu erschaffen. Ziel einer Smarten Destination ist die Integration digitaler Elemente in das Gesamtgefüge eines Reiseziels. Diese komplexen Herausforderungen auf technologischer, gesellschaftlicher und ökologischer Ebene, die an DMOs herangetragen werden, haben in den vergangenen Jahren zu einer neuen Identität und zu neuem Selbstbewusstsein geführt. Smarte DMOs konzentrieren sich daher nicht nur auf die Etablierung neuer technologischer Möglichkeiten, sondern forcieren aktiv selbst einen Paradigmenwechsel im Destinationsmanagement. Es gibt eine klare Daseinsberechtigung für DMOs, die in der Querschnittsbranche Tourismus als Netzwerkknoten kollaborativ mit anderen agieren können und müssen, um unterschiedliche Lebensbereiche einer Destination (ob Stadt oder Land) miteinander zu vernetzen.

Die Komplexität dieser Aufgaben führt dazu, dass eine Smarte DMO zwar alles im Blick haben sollte, aber eben nicht alles selbst umsetzen kann. Vielmehr begreift sich die DMO der Zukunft als zentrale Instanz, welche unterschiedliche Stakeholder und Projekte identifiziert, deren Interessen erkannt und diese in einer moderierenden Rolle zusammenbringt und auf ein gemeinsames Ziel hin ausrichtet.

Die Funktionen und die Rollen einer Smarten DMO sind bisher allerdings wenig differenziert betrachtet worden. In einem wissenschaftlichen Beitrag aus dem Oktober 2021 definiert Dr. Ulrike Gretzel sechs zentrale Aufgaben, die eine Smarte DMO auszeichnen.

Grafik Aufgaben einer Smarten DMO

Management – die umfassende Klammer

Das Management bezieht sich auf die Koordination verschiedener Interessensgruppen und auch deren einzelner technologischer Systeme, um diese zielführend aufeinander abzustimmen. Im Kern tun DMOs, die eine Smarte Destination als Ziel haben, dies aus ihrem Selbstverständnis heraus ohnehin schon. Gleichwohl kommt es durch die Digitalisierung zu einer Annäherung von Wohn- und Besuchsräumen, was unter anderem in der Manifestation des Begriffs „Lebensraum“ deutlich wird. Eine smarte DMO betreibt somit ein Management in einem sehr großen Maßstab, das über den kerntouristischen Bereich weit hinausgeht und neben den Touristen selbst auch Einwohner, Einzelhandel, regionale Erzeuger, ÖPNV, Politik usw. mit einschließt. Die DMO wird so zu einer zentralen Steuerungsinstanz, die für einen Orientierungsrahmen innerhalb der Destination im Ganzen zuständig ist, an dem sich die Interessensgruppen ausrichten können.

Change-Gestalter – zum Wandel inspirieren

Als Change-Gestalter bringen Smarte DMOs eine Durchlässigkeit in das smarte Ökosystem. Das bedeutet, dass sie sicherstellen, dass Daten und Wissen ungehindert strömen und Partnerschaften leicht geschlossen werden können, damit das Gesamtsystem sowohl agil als auch flüssig bleibt. Dies impliziert, dass die DMO selbst zu einer liquiden Organisation wird. Die DMO als liquide Organisation stellt hierbei Ressourcen schnell bereit, indem sie selbst eine gute Infrastruktur vorhält, die sie entsprechend der Bedarfe einsetzen kann.

Praxisblick

Als gutes Beispiel wird im Rahmen der Vernetzung durch Datenmanagement immer wieder das Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH genannt. Diese betreibt seit rund 15 Jahren ein zentrales Datenbanksystem, an dem über 450 Regionen, Orte und Leistungsträger angeschlossen sind. Die TMB strebt an, dieses Contentpartnernetzwerk kontinuierlich weiterzuentwickeln. Die Verbesserung der Datenqualität steht dabei im Fokus, was durch die Erstellung von Redaktions- und Benutzerhandbücher, ein Monitoring bei der Dateneingabe sowie jährliche Redaktionspläne erreicht werden soll.

Außerdem verfügen Smarte DMOs über flexible Mitarbeitende, die projektbasiert in Teams arbeiten, um agil handeln zu können und die Infrastruktur entsprechend zur Geltung bringen. Als Change-Gestalter können sich die Mitarbeitenden der Smarten DMO bei Bedarf ebenso in bestimmte Positionen außerhalb der Kernorganisation eingliedern. Durch diese eingebetteten Unternehmerteams entfaltet sich eine Dynamik innerhalb der Destination, die sich durch einen hohen Innovationsgrad auszeichnet. Die Mitarbeitenden der DMO, die sich temporär in Projekte anderer Stakeholder eingliedern, sind hierbei externe Coaches, die kontextuell auf Prozesse einwirken können, indem sie diese so steuern, dass sie dem jeweiligen Ziel Rechnung tragen. Dabei haben diese Coaches stets im Blick, ob es sich bei der Aufgabe um die Ausführung eines etablierten Prozesses handelt (Exploitation) oder um etwas Neues, das einen anderen Prozess erfordert, der durch eine experimentelle Grundhaltung geprägt ist (Exploration). Gerade bei letztgenanntem sind externe Innovationscoaches gefragt, um diese Prozesse zu betreuen (siehe Abbildung).

Grafik Kontextuelle Steuerung durch das Management

Mobilisierung – aktive Mitnahme der Stakeholder

Die Mobilisierung bezieht sich auf das Einschwören interner und externer Stakeholder auf ein gemeinsames Ziel hin. Die Vision darüber, wie die Smarte Destination aussehen sollte, wird von der DMO erschaffen und mit anderen geteilt. Die weitere Mobilisierung erfordert über die Identifizierung kritischer Infrastrukturen, die für die Erreichung der Vision notwendig sind. Ressourcen und Kapazitäten in Form von Fördergeldern und privatwirtschaftlichen Investoren sowie neuer Formen der Finanzierung, wie zum Beispiel Crowdfunding, gilt es zu finden. Die Verteilung der Ressourcen liegt primär in der Hand der leitenden DMO und ist an entsprechende Kennzahlen geknüpft, die das übergeordnete Ziel der Smarten Destination fördern. Die DMO wird so zur zentralen Entwicklungsinstanz, die weiß, welche verschiedenen Akteure in welcher Form dazu beitragen können, eine starke Smart Destination zu schaffen, die den Bedürfnissen von Einwohnern und Touristen gleichermaßen entspricht.

Vernetzung – Zusammenführung der Stakeholder

Vernetzung beschreibt die Aktivitäten der DMO, die darauf abzielen, Verbindungen zwischen der Vielzahl von Akteuren innerhalb und außerhalb der Smarten Destination zu erleichtern. Der DMO kommt hierbei die Aufgabe eines „Matchmakers“ zu: Sie vermittelt zwischen verschiedenen Netzwerken und nimmt als grenzüberschreitende Instanz die Rolle eines „Beziehungsmaklers“ ein. Das heißt, sie erkennt den Wert von spezifischen Verbindungen, forciert diese und moderiert sie so, dass diese dem Gesamtziel der smarten Destination zugutekommen. Dabei können insbesondere neue Modelle der Zusammenarbeit wie der Open Innovation Ansatz helfen, der in Formaten wie Barcamps, Hackathons, Service Jams oder auch dem erst kürzlich kommunizierten Format einer OpenWeek eine operative Ebene findet. Ziel ist das Identifizieren und Vorantreiben neuer Möglichkeiten für den Tourismus im Bereich der digitalen Transformation. Dies beinhaltet auch das Abgleichen von Akteuren innerhalb eines Smart Destination Ökosystems und den darin benötigten Daten. Die Vernetzung hat somit übergeordnet das Ziel einer Ressourcenintegration, um zu einer gemeinsamen Wertschöpfung für alle Beteiligten zu gelangen.

Praxisblick

Auch klassische Konferenzformate können eingesetzt werden, um Vernetzung zu forcieren und eine gemeinsame Vision zu entwickeln. Das Cluster Smart Destination des Tourismus NRW e.V. hat dies im Rahmen des Fachkongresses Smart Destination gezeigt.

Integratives Feingefühl – Berücksichtigung der Interessenslagen

In ihrer Funktion als Netzwerkknoten, der nicht nur beobachtet, sondern proaktiv gestaltet und vernetzt, nimmt eine Smarte DMO eine integrative Haltung ein.
Das bedeutet, dass die DMO auf der einen Seite ihr klares Ziel einer Smarten Destination fokussiert und diesem konsequent nachgeht, auf der anderen Seite aber auch sensibel zuhört, um Entwicklungen bei Initiativen, Projekten und Partnern zu erkennen und auf diese im Sinne des übergeordneten Ziels einwirken zu können. Die DMO streckt daher ihre „Fühler“ in alle Richtungen aus, um so nicht nur im Tourismus, sondern auch in der Stadt- und Regionalentwicklung, bei der Wirtschaftsförderung usw. auf dem Laufenden zu sein. Auf diese Art kann sie relevante Akteure und Initiativen identifizieren und auf diese frühzeitig lenkend einwirken. Dies erfordert auch, dass die DMO eine entsprechende Relevanz sowie Befugnisse hat, um etwaige Korrekturen vornehmen zu dürfen.

Enabling – Befähigung der Stakeholder

Smarte DMOs sind Enabler – Ermöglicher – des Wandels. Das bedeutet, dass sie diesen nicht nur selbst vorantreiben, sondern diesen anderen auch ermöglichen, indem sie Wissen in die Region tragen und so dazu beitragen, dass die relevanten Stakeholder die Kompetenz erhalten, um den Wandel umsetzen zu können. Essenziell ist im Kontext von Smart Destination, dass ethische und soziale Gerechtigkeitsprinzipien eingehalten werden. Hierzu zählt insbesondere ein größeres Bewusstsein für mögliche Probleme, die sich trotz aller Vorteile der Digitalisierung aus der Entwicklung und der Implementierung von Technologien in der Destination ergeben können. Es ist daher wichtig zu berücksichtigen, dass mit der Wissens- und Kompetenzvermittlung auch Werte weitergetragen werden, die fernab einer neoliberalistischen Denkweise und stärker auf Nachhaltigkeitsziele und Gemeinwohlökonomie hin ausgerichtet sind.

Praxisblick

Das IDM in Südtirol (IDM – Innovators. Developers. Marketers.) begreift sich als Kompassnadel der Region. Die langfristige Vision des IDM ist es, Südtirol zum begehrtesten nachhaltigen Lebensraum Europas zu machen. Nachhaltigkeit ist dabei ein zentrales Ziel, welches das IDM in drei Säulen definiert: People, Planet, Profit. Dies soll über die Rolle des IDM als Impulsgeberin und Multiplikatorin gelingen, die nachhaltige Produkte bei ihren Erzeugern anregt, die für Qualität und eine hohe Attraktivität stehen. Als Vordenkerin will das IDM Kreativität fördern, um neue Ideen voranzutreiben. Als Innovations- und Kompetenzzentrum befähigt es Unternehmen und sorgt gleichzeitig dafür, dass alles, was getan wird im Sinne der gesamten Vision und Mission für Südtirol ist. Als Ergebnis sollen alle an demselben Strang ziehen und dasselbe Ziel verfolgen.

Was heißt das jetzt?

DMOs sind einzigartig positioniert, um die Governance-Rolle einer Smarten Tourismusentwicklung zu übernehmen, da sie bereits über öffentlich-private Grenzen hinweg tätig sind und sich im Stakeholder-Management auskennen. Sie haben vielerorts Regulierungsfunktionen inne und sind direkt oder indirekt in der Politik beteiligt. Darüber hinaus sind bereits viele DMOs bestrebt, Smarte Destinationen zu werden, was sich in etlichen Initiativen und Projekten im Bereich des digitalen Besuchermanagements äußert. Eine Smarte Tourismusentwicklung erfordert jedoch auch eine Smarte Politik, die es den DMOs ermöglicht, diese von ihr verlangten Rollen auch ausfüllen zu können. Gerade in der Coronapandemie wurde deutlich, dass der Sprung vom Management der Interessen einer klar definierten Gruppe von Akteuren der Tourismusbranche hin zum umfassenden (auch politischen) Management einer Destination für DMOs besonders rasant vonstatten geht. Es verlangt ihnen neue Netzwerke, Managementfähigkeiten und Kompetenzen ab, welche die meisten DMOs erst noch aufbauen müssen. Auch die finanziellen und personellen Ressourcen spiegeln diese gewachsenen Anforderungen nicht adäquat wider. Hier bedarf es dringend einem politischen Nachsteuern, um den DMOs mehr diese Wege zu ebnen.
Sie haben so die Chance, die Relevanz wiederzugewinnen, die sie durch frühere Wellen der digitalen Transformation (insbesondere durch die digitale Reisevermittlung) verloren haben. Das Paradigma einer Smarten Destination wird jedoch auch aktuelle Ansätze infrage stellen und erhebliche Veränderungen im Destinationsmanagement erfordern. Hierbei können die sechs genannten Aufgaben einer Smarten DMO eine erste Orientierungshilfe geben, um die digitale Transformation zu meistern.

Linktipps

Petra Hedorfer, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT)

Eric Horster

Fachhochschule Westküste

Eric Horster ist Professor an der Fachhochschule Westküste im Bachelor- und Masterstudiengang International Tourism Management (ITM) mit den Schwerpunktfächern Digitalisierung im Tourismus und Hospitality Management. Er ist Mitglied des Deutschen Instituts für Tourismusforschung.

Mehr zur Person unter: www.eric-horster.de