Der Hintergrund zur Lebensraumperspektive

Die Perspektive des Tourismusmanagements wandelt sich: Weg von der reinen Gästefokussierung, hin zu ganzheitlichen Überlegungen, in welchen die Belange der Einheimischen in gleichem Maße berücksichtigt werden. Diskussionen über Overtourism nehmen spätestens seit 2017 die Bürgerinnen und Bürger vieler Reiseziele stärker in den Blick. Ebenso sind die natürlichen Voraussetzungen von Destinationen, sei es kultureller oder landschaftlicher Natur, erhaltenswerter denn je. Die Corona-Pandemie sorgte dafür, dass viele Menschen ihre Wohngegend erstmals genauer wahrnahmen, zu Gast in der eigenen Stadt und Umgebung waren. Allerdings mit Abstandsregelungen und Zugangsbeschränkungen, welche die Kapazitäten zeitweise stark beschränkte. Crowding war plötzlich nicht mehr auf stark frequentierte Hotspots begrenzt. Das Einhalten von Kapazitätsgrenzen wurde zu einer wichtigen Managementaufgabe für Destinationen und wird es auch bleiben – egal, ob in Freibädern oder auf Wanderwegen. Gleichermaßen zeigte die Corona-Krise dezidiert auf, wie kurzfristig viele touristische Unternehmen bisher agierten: ohne finanzielle Rücklagen oder Planung, ohne Mitarbeiterbindung, ohne Rücksicht auf Natur oder Einheimische. Kein Wunder also, dass die Nachhaltigkeit in all ihren Facetten – ökologisch, ökonomisch sowie sozial – auch im Tourismus mittlerweile verstärkte Beachtung findet.

Segmente von Lebensräumen

Mindmap zum Thema "Womit beschäftigt sich Lebensraummanagement?"

Ein Teil der Tourismusbranche weiß mittlerweile um seinen – positiven wie negativen – Einfluss und übernimmt Verantwortung. Fortschrittliche Mobilitätskonzepte sorgen für ökologisch nachhaltigeren Verkehr und verbinden Stadt und Land miteinander, sodass (digitale) Besucherlenkung mit Rücksicht auf Einheimische und die Natur stattfindet. Gleichzeitig wird auf Resonanztourismus gesetzt: Der enge Austausch auf Augenhöhe zwischen allen beteiligten Akteuren steht im Fokus, wobei Mitarbeitende, Unternehmen, Einheimische sowie Gäste berücksichtigt werden. Lokale Wertschöpfung gewinnt hierdurch an Bedeutung, ebenso wie die Erlebnisgestaltung im öffentlichen Raum. Auf diese Art nimmt der Tourismus immer mehr positiven Einfluss auf die lokale Gesellschaft, die Umwelt, die Wirtschaft.

Grafik Akteure im Lebensraum

„Im Allgäu sind wir spätestens mit Gründung der Allgäu GmbH im Jahr 2011 der reinen Tourismusdenke entwachsen. Im Verbund mit unseren Partnern gehen wir Herausforderungen wie den Fachkräftemangel von Hotellerie, über Handwerk bis hin zur Pflege an. Wir unterstützen Landwirte bei der direkten Vermarktung ihrer Produkte und begleiten Transformationsprozesse.
Unsere Markenpartner sind Unterkünfte, Outdooranbieter und Skischulen gleichermaßen wie Lebensmittelproduzenten, Holzverarbeitung, Landschaftspflege oder Kliniken. Nur mit allen Akteuren gemeinsam können wir unser Ziel verfolgen, der begehrteste Lebensraum für Leben, Arbeiten und Urlauben im ländlichen Raum Deutschlands zu werden.“

Stefan Egenter, Marketingleiter, Allgäu GmbH

Entsprechend ist es nicht verwunderlich, dass der Tourismus – und damit die DMO als dessen Repräsentantin – Teil der regionalen Wirtschaftsförderung ist. Der Deutsche Tourismusverband veröffentlichte Anfang 2021, dass vor der Corona-Pandemie

Doch nicht nur kerntouristische Ausgaben wie die Buchung von Unterkünften, die Inanspruchnahme von Gastronomieangeboten oder der Besuch von Attraktionen und Museen tragen zur Wirtschaftsförderung bei. Auch regionale Produzenten, der Einzelhandel, Verkehrsunternehmen sowie die generelle Infrastruktur vor Ort profitieren von den Gästen. Die Perspektive auf den Tourismus entwickelt sich in diesem Zuge immer mehr so, dass dieser als Querschnittsbranche mit einer großen Verantwortung gesehen wird – was seiner wirtschaftlichen Bedeutung zunehmend gerecht wird.

„Handgemacht Saale.Unstrut wurde ins Leben gerufen, um regionale Wertschöpfungsketten zu stärken und Akteure in einem aktiven Netzwerk zusammenzubringen – im persönlichen Austausch, in kreativen Schaffungsprozessen bis hin zur digitalen Vermarktung. Über die regionalen Produkte aus dem traditionellen Handwerk, der Landwirtschaft und dem kreativen Bereich wird neben den Gästen auch die einheimische Bevölkerung angesprochen. Das Netzwerk soll für bewussten und regionalen Konsum sensibilisieren und gleichzeitig stolz darauf machen, in Saale-Unstrut zu leben, sowie bei Touristen Lust wecken, die Region zu besuchen. Für die Gästeansprache ist die digitale Auffindbarkeit von enormer Bedeutung, weshalb die Produzent*innen der Initiative handgemacht Saale.Unstrut gleichbedeutend den touristischen Akteuren in unserem gesamten Datenmanagement mitgenommen werden.“

Antje Peiser, Geschäftsführerin Saale-Unstrut-Tourismus e.V.

Lokale und regionale DMOs sind somit als Lebensraumgestalter und Stakeholdermanager zu sehen. Sie müssen sich aktiv in regionale Prozesse und Entscheidungen einbringen – auf politischer sowie gesellschaftlicher Ebene – und die verschiedenen Akteure innerhalb der Destination zusammenbringen, koordinieren und zu einem harmonischen Gesamtergebnis führen.

Datenmanagement als Netzwerkknoten der Lebensraum-Perspektive

Datenmanagement unterstützt die Rolle der DMO als Netzwerkknoten und ist gleichzeitig wesentliche Grundlage, um diese Position auszufüllen. Der aktuell entwickelte touristische Knowledge Graph der DZT und ihrer Partner unterstützt dabei, Daten diverser Akteure zu bündeln und miteinander zu verknüpfen.

Dabei beziehen sich Daten zunehmend auf Prozesse, die in der realen Welt ablaufen. Viele Datenpunkte interagieren miteinander. Die Apotheke, der Spielplatz, der ÖPNV, die Parkplatzbelegung, das Schwimmbad usw. sind sowohl für Gäste als auch für Einheimische wichtige Punkte, die auch digital präsent sein müssen. Die dort vorgehaltenen Daten – von Standortdaten über Öffnungszeiten und Preise hin zu konkreten Angeboten sowie aktuellen Belegungen – werden von unterschiedlichen Parteien verwaltet. Über das Datenmanagement kann der Tourismus diese zusammenbringen. Doppelpflege und uneinheitliche Ausspielungen können so vermieden werden. Notwendig hierfür: Eine enge Zusammenarbeit mit den Kommunen und Stadtverwaltungen. Generell sollen Tourismus und Standortmarketing schon länger nicht mehr losgelöst voneinander betrachtet werden, spätestens beim Thema Datenmanagement wird die enge Verzahnung allerdings noch deutlicher.

„Wir sehen in Wolfenbüttel immer wieder, wie wichtig es ist, Maßnahmen für die Zukunft mit möglichst vielen Partnern gemeinsam anzugehen und zu verabschieden. Uns kommt dabei zugute, dass wir als kommunale Wirtschaftsförderung aufgestellt sind und damit von Anfang an sehr nah an all unseren Betrieben waren. Für diese übernehmen wir auch die Datenpflege. Da wir hierfür auf die Betriebe zugehen, stärken wir die Bindung zu ihnen und verbessern gleichzeitig unsere eigene Beratung in der TI, denn vieles hätten wir wahrscheinlich sonst so schnell nicht immer erfahren.“

Björn Reckewell, Abteilungsleiter Tourismus und Einzelhandelsentwicklung, Stadt Wolfenbüttel

Zielstellung ist es deshalb, Prozesse branchenübergreifend parallel und synergetisch umzusetzen. Nur über die Kooperation aller Beteiligten können Daten flächendeckend in geeigneter Qualität generiert und für den Knowledge Graphen zur Verfügung gestellt werden. Aufgrund der Strukturierung, der semantischen Auszeichnung und der Vergabe von offenen Lizenzen können Daten über städtische Verwaltungen sowie verschiedene Wirtschaftszweige hinweg miteinander genutzt und verschnitten werden.

Linktipps

Kristine Honig, Tourismuszukunft

Kristine Honig

Realizing Progress

Kristine Honig ist Beraterin und Netzwerkpartnerin bei Realizing Progress (früher Tourismuszukunft). Sie berät und unterstützt touristische Unternehmen bei ihrer Strategie, beim Thema Storytelling und bei der Organisation von Barcamps.

Mehr zur Person unter: https://www.realizingprogress.com/kristine-honig